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Was macht einen Schamanen zum Schamanen? Diese Frage stellen viele Menschen, die vom Schamanismus hören. In den ursprünglichen Kulturen will man nicht unbedingt Schamane werden. Denn als Schamane hat man einen anstrengenden Weg zu gehen und der Gemeinschaft und der Erde mit jeder Faser des Seins zu dienen. Von dem internationalen Rat der dreizehn indigenen Großmütter hat nur eine ein leichtes Leben, das Leben der anderen zwölf war von vielen persönlichen Herausforderungen geprägt.

Schon als Kind Kontakt zur Anderswelt

Aus meiner Erfahrung mit angehenden und praktizierenden Schamanen ist oft auch schon eine Schwierigkeit bei der Geburt oder in früher Kindheit erlebt worden, die dazu führt, dass noch der Kontakt zur Anderen Welt gepflegt wird, da das irdische Dasein schwierig erscheint oder eine Verbindung zur Anderen Welt bestehen bleibt. Das bringt dann den Vorteil mit sich, sich dem Tod und der Anderen Welt besser nähern zu können, als die meisten Menschen es können. Gleichzeitig haben sie sich das irdische Leben härter erkämpfen müssen, da sie nicht vollständig auf der Erde gelandet sind in den ersten Jahren ihres Lebens.

So war es auch in meinem Leben. In einer Schwitzhütte, die meinen Geburtsprozess noch einmal nachempfinden sollte, habe ich festgestellt, dass ich schnell aus der Schwitzhütte raus wollte, danach kurz freudig im Gras lag und, nachdem ich aufgestanden war und die ersten Schritte gemacht habe, wurde es schwer. So habe ich tatsächlich auch mein Leben empfunden. Irgendwie fühlte es sich von Anfang an schwer an.

Eine der großen Herausforderungen meines Lebens war es, vollständig im Körper anzukommen. Eine Studienkollegin hatte mich Anfang der 90er Jahre mal „vergeistigtes Wesen“ genannt. Es hatte mich innerlich getroffen, aber es stimmte wohl. Erst 2010 habe ich mich vollständig mit meinem irdischen Leben angefreundet.

Auch der Maya Schamane Nahal’da, der schon als Kind Lichtwesen gesehen hat, hatte eine dramatische Geburt, in der er beinahe erstickt war, weil sich die Nabelschnur um seinen Hals gewickelt hat. Großmutter Flordemayo musste in ihrer Kindheit mit ihrer Mutter vor häuslicher Gewalt aus Mexiko in die USA fliehen. Mit etwa 10 Jahren musste sie wegen einer Tuberkuloseerkrankung mehrere Wochen allein in ihrem Zimmer in Quarantäne verbringen. Weil die Sehnsucht mit ihren Geschwistern und Freunden zu spielen so groß war, lernte sie in der Quarantäne das Astralreisen. D.h. sie hat ihren Körper verlassen, um zumindest geistig bei ihren Freunden zu sein.

Der grönländische Schamane Hivshu hat drei Arten unterschieden, wie man Schamane wird:

  1. Man wird als Schamane in eine schamanische Familie geboren
  2. Man wird von der Natur auserwählt (z.B. ein- oder mehrmals vom Blitz getroffen)
  3. Aus eigenem Interesse

Als Schamane geboren

Die einfachste Variante ist, in eine schamanische Familie geboren zu werden. So kann das Wissen von Kindesbeinen an aufgenommen werden. Der Amazonas-Schamane Don Agustin Rivas wurde in eine Ayahuascero-Familie geboren. Sein Vater hat regelmäßig Heilsitzungen und Zeremonien mit der heiligen Pflanze Ayahuasca durchgeführt. Auch wenn er als Kind nicht direkt bei seinem Vater gelernt hat, zeigte sich bei seinen ersten Lehrern im Amazonas Regenwald, dass er schon eine Menge mitbekommen hatte.

Der grönländische Schamane Angaangaq wurde schon als Kind von Mutter und Großmutter auf seine Aufgabe vorbereitet. In seinen Vorträgen und Reden spricht er immer wieder von den Geschichten und Ratschlägen seiner Mutter und Großmutter.

Von der Natur ausgewählt

Die zweite Variante ist etwas spektakulärer: Die Natur selbst erwählt einen Menschen zum Schamanen. Eine öfter vorkommende Variante ist es, vom Blitz getroffen zu werden, manchmal sogar mehrmals.

Bei den Q’ero Schamanen in den Hochanden in Peru wird es als besonderes Zeichen angesehen, dreimal vom Blitz getroffen zu werden. Das ist die Voraussetzung ein Altomesayok zu werden, ein Schamane der höchsten Stufe. Dazu braucht es ein besonderes Training und der Altomesayok hat besondere Aufgaben und Fähigkeiten. Gleichzeitig ist der Schamane auch frei, wieder auf die niedrigere Stufe zu gehen und als Pamapamesayok zu arbeiten, als Hüter der Erde und Heiler mit weniger Kraft. Denn oft hat es auch seinen Preis, eine höhere Stufe einzunehmen, wie zum Beispiel ein kürzeres Leben.

Der Q’ero Don Sebastian Samata Lunasco wurde in Hapo Colla Qeros, Paucartambo, Peru um 1950 geboren. 1982 mit 32 Jahren wurde er zweimal vom Blitz getroffen. Er war zwei Jahre sehr krank und in dieser Zeit wusste er, dass er den Weg des Heilers gehen soll. So lernte und diente er erstmal bei Don Carmin Kapa. 1989 wurde er Altomesayoq, Schamane der höchsten Stufe in Peru, und arbeitete als solcher 6 Jahre lang. Nach dieser Zeit arbeitet er bis heute als Pampamesayoq, Schamane der zweithöchsten Stufe.

Der Paqo Puma Fredy Quispe Singona, der 1979 geboren wurde, wurde im Alter von 6 Jahren von einem Blitz getroffen. Er berichtet, dass er alleine in einem Fluss gebadet hat, als ein Lichtball gekommen ist, der ihn aus seinem Körper befördert hat. Er schwebte über dem Fluss und hat seinem Körper im Fluss liegen sehen. Das hatte nach seinem Gefühl rund zwei bis drei Minuten gedauert und dann kam er mit seinem Bewusstsein wieder in den Körper. Als er dann in dem Fluss Fische gesehen hat, wo normalerweise keine Fische sind, ist er schnell nach Hause gerannt und war etwas erschrocken. Sein Großvater Don Maximo Singona war jedoch erfreut über diese Begebenheit und hat seitdem angefangen ihn zu unterrichten.

Die tuvinische Schamanin Liudmila Oyun (Sibirien) hat von einer anderen Schamanin berichtet, die direkt von der Natur ausgewählt wurde. Als sie sich in der Natur unter einem Baum befand, ist die Kraft der Natur direkt in sie eingefahren.

Aus eigenem Interesse

Aber auch aus eigenem Interesse kann man sich auf den schamanischen Weg machen. Manchmal gibt es einen inneren Ruf, manchmal eine Krankheit, die das Interesse für den Schamanismus weckt. In den alten Kulturen selbst ist dann der nächste Schamane natürlich nicht weit, bei dem man in die Lehre gehen kann.

Ein mongolischer Schamanengeist hat mir einmal angeboten, bei ihm in die Lehre zu gehen. Die Schamanin, die mit dem Ahnengeist gearbeitet hat, empfahl mir daraufhin, erstmal in die Mongolei zu fahren und mich dort bei verschiedenen Schamanen umzuschauen, um danach eine Entscheidung zu treffen. Bei einem Schamanen in die Lehre zu gehen, bedeutet in der Regel auch, dass das bisherige Leben vorbei ist und man auf dem schamanischen Entwicklungsweg tiefe und herausfordernde Erfahrungen macht. Dazu braucht es sehr großes Vertrauen zu seinem Lehrer. Ich habe mich zu dem Zeitpunkt entschieden, diesem Angebot, bei einem mongolischen Schamanen in die Lehre zu gehen, nicht weiter nachzugehen.

In Europa sind wir fast ausschließlich auf die Variante angewiesen, sich selbst auf den Weg zu machen. Es gibt nur sehr wenige schamanische traditionelle Linien, die noch innerhalb der Familie weitergegeben werden. Will man also seinem inneren Ruf folgen, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich über Seminare, Schwitzhütten, Rituale oder Begegnungen mit Schamanen aus aller Welt auf den Weg zu machen. Manche Menschen begegnen so ihrem Lehrer, der ihnen eine umfassende mehrjährige Ausbildung gibt – was eher selten vorkommt. Der Schweizer Adrian Oswald ist so zu seinem Lehrer Großvater Saglyar Borbak-Ool aus Tuva gekommen, der ihn als „Schamanen“ erkannt hat und in die persönliche Lehre genommen hat. Oder manche gehen den Weg auf eigene Faust mit mehreren Lehrern und Inspiratoren. So war es bei mir der Fall.

Schamanische Krankheit

Auf ein besonderes Phänomen möchte ich noch aufmerksam machen: die schamanische Krankheit. Es kann sein, dass ein Schamane eine schwere Krankheit durchmacht. Das ist entweder eine tiefere Transformation, die eine Veränderung im Bewusstsein und Wirken bringt, oder ein Zeichen, auf dem falschen Weg zu sein. Wenn ein Mensch, der eigentlich seinem Seelenplan als Schamane folgen soll, dies nicht tut, kann er krank werden. Wenn er sich dann wieder auf seinen Weg begibt verschwindet die Krankheit.

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