Aus eigener Erfahrung haben sicher viele festgestellt, dass sich mit der persönlichen Entwicklung das Eigene, Individuelle mehr und mehr ausdrücken will. Alte Verbindungen funktionieren nicht mehr, das „Ich“ gewinnt an Bedeutung. Gleichzeitig mit der Entwicklung des Eigenen wird eine neue Art der Verbindung möglich. Eine freie Verbindung, die nicht auf Gleichartigkeit ausgerichtet ist, sondern in der die Unterschiedlichkeit Raum hat und sich entfalten darf.

Diese Entwicklung, die sich in der Inka-Tradition im Übergang von der dritten zur vierten Bewusstseinsebene ausdrückt, möchte ich im folgenden Artikel näher beleuchten.

Bis zur dritten Bewusstseinsebene drückt sich Verbindung und Gemeinschaft über Gemeinsamkeiten einer Gruppe aus: Familie, Dorf, Fußballverein, ein Freundeskreis, der sich regelmäßig trifft, Windows-Nutzer, Apple-Nutzer, Firmen-Kollegen, Vegetarier, Yogis, Schamanen etc. Es gibt ein gemeinsames Interesse, über das sich leicht eine Verbindung herstellen lässt. In der Inka-Tradition heißen diese Verbindungen „Masintin“ – Verbindungen von Gleichem.

Gleichzeitig ist diese Verbindung aber auch begrenzt. Was ist, wenn ich als Windows-Nutzer dann lieber einen Apple-Computer nutzen möchte? Oder wenn ich nicht mehr regelmäßig zu allen Freundeskreis-Treffen kommen möchte? Oder als Vegetarier mal Fleisch esse? Dann „passe“ ich nicht mehr in diese Gruppe, Verbindungen lösen sich und ich folge meinem individuellen Impuls, der sich nicht an Gruppendefinitionen hält. Die eigene individuelle Persönlichkeit schält sich heraus (s.a. den Artikel „Individualität und kosmisches Bewusstsein“).

Dies kann zunächst einige einsame Phasen mit sich bringen, wenn man feststellt, dass man nicht mehr „dazu gehört“.

Eine neue Art der Verbundenheit entsteht

In diesem Prozess lösen sich die vermeintlichen Gegensätze, Rollen und Definitionen auf und entpuppen sich als mentale Konstruktionen, die austauschbar sind, und eine neue Art der Verbundenheit entsteht. Wie sehen diese neuen Verbindungen aus? Meiner Erfahrung nach gehen die neuen Verbindungen über das Herz, die Stille und das Hier und Jetzt. Gegensätze werden zu Ergänzungen und das Gemeinsame ist das zusammen da sein. Das möchte ich näher erläutern.

Verbindung über das Herz

Vor zwei Jahren erzählte mir eine Bekannte über eine Begegnung mit einem Wal. Sie habe auf einer Bootsfahrt zur Walbeobachtung einen Wal singen hören. Sie erzählte dies mit der gleichen inneren Berührtheit, wie sie es dort erlebt hatte. Und ich hörte in dem Moment selbst über mein Herz diesen Wal singen und wurde von dem Gesang tief berührt.

Über den Herzensraum wird die Kommunikation erheblich erweitert. Dort werden nicht nur Gefühle und Worte aufgenommen, sondern innere Bilder und tiefer gehende Informationen wahrgenommen, die sich der Verstandeslogik entziehen. Ist das Herz geöffnet, ist eine intuitive Wahrnehmung möglich.

Neulich war ich in einer Skype-Konferenz, in der dies deutlich wurde. Auf der einen Seite waren wir über die Technik audio-visuell verbunden, gleichzeitig entstand ein Herzensraum, in dem viel mehr transportiert wurde und erfahrbar wurde, als über Bild und Ton. So öffnete uns die Technik den Raum für unsere biologische Herzverbindung, die diese Technik eigentlich nicht wirklich braucht. Um diesen Herzensraum zu erfahren ist die Stille sehr hilfreich.

Verbindung über die Stille

Sind die Herzen miteinander verbunden, entsteht ein Raum, indem eine Fülle von Informationen da ist und gleichzeitig eine klare Intuition, was gesagt werden will. Vielleicht kennst Du diesen inneren Impuls, dass etwas gesagt werden will? Dieser entspringt dem Herzen aus dem Hier und Jetzt, dem Moment und hat eine Bedeutung, die sich dem Verstand nicht immer erschließt. Aus Erfahrung weiß ich nun, dass es sich lohnt, diesen Impulsen nachzugehen, dass in ihnen eine tiefere Weisheit steckt. In der Stille können diese Impulse besser wahrgenommen werden. Im Gespräch entsteht aus der Stille eine Klarheit darüber, was gesagt werden will und auch wann das Gespräch beendet ist. Es muss nicht mehr über richtig und falsch diskutiert werden. Entweder fühlt es sich stimmig an, oder nicht.

So haben die alten Kulturen Entscheidungen getroffen. Man sitzt so lange im Kreis, tauscht Befindlichkeiten und Lösungsvorschläge aus, bis es sich für alle stimmig anfühlt. Es gibt dort kein „richtig und falsch“ mehr, sondern mehr ein „was ist im Moment möglich und passend“. Der Kreis zeigt hier auch, dass in der Herzensverbindung alle Beteiligten gleichwertig sind.

Gegensätze werden zur Ergänzung

Die Gleichwertigkeit entsteht über die Überwindung der Gegensätze. In der Inka-Tradition ist eine harmonische Verbindung von vermeintlichen Gegensätzen eine „Yanantin“-Verbindung. Die klassische Yanantin-Verbindung ist die von Mann und Frau, kann aber auch auf Muslime und Christen, Apple- und Windows-Nutzer, Vegetarier und Fleischesser etc. übertragen werden. Mit dem Erkennen, dass diese Gruppeneigenschaften nur unterschiedliche Ausdrücke des Mensch-Seins sind, und dass sie alle da sein dürfen, entsteht ein neuer Raum, der größer ist als die Summe der beiden einzelnen Räume.

Eine besonders bewegende Erfahrung hatte ich in einem Meditationskreis in einer Justizvollzugsanstalt. Zusammen mit 6 Externen und ca. 15 Häftlingen, die ich nicht kannte, entstand nach einer Stunde Meditation ein glückseliges Gefühl von Verbundenheit, das mich total überrascht hatte. In den nachfolgenden alltäglichen Gesprächen war wieder die Ebene der Gemeinsamkeiten und Unterschiede aktiv, so dass Gefühle von Zuneigung und  Abneigung da waren, aber das war in der Meditation im Raum der Herzensverbundenheit wie weggeblasen.

Dieser Raum ist zum einen von Liebe erfüllt, er fühlt sich saugut an (wesentlich besser, als das Gruppengefühl 🙂 ). Zum anderen ermöglicht der Raum die Erfahrung, dass sich die unterschiedlichen Eigenschaften ergänzen.

Neulich waren wir mit knapp 20 Menschen auf einem Treffen, wo sich eine Gruppe neu zusammenfindet. Als die Idee aufkam, dass eine Homepage für die Gruppe interessant sei, fanden sich ein Mediengestalter, ein Webprogrammierer und ein Fotograf, die sich nun der Umsetzung widmen. Durch das Erkennen der individuellen Talente, eben genau der Unterschiedlichkeiten fügt sich etwas Neues zusammen. Jeder ist gleichwertig und trägt mit seinem Individuellem zum Ganzen bei.

Ein Freund hat mir einmal von seiner Arbeit berichtet, wo sich sein Chef „aufgeblasen“ hatte und unbedingt etwas bestimmen wollte, was gegen die Meinung der Kollegen war. Da er sich gut mit seinem Chef verstand, hat er ihn beiseite genommen und – wie er sagte – versucht ihn von seinem hohen Roß herunterzuholen um „ihn zurück in die Mannschaft zu bringen“.  Das fand ich ein sehr schönes Bild, denn derjenige der die Organisation und Planung übernimmt, ist eben auch ein gleichwertiger Teil der Mannschaft, der eine bestimmte Aufgabe im Ganzen übernommen hat, die ihm im Idealfall gut liegt.